IMO 2015 Chiang Mai, Thailand

Die Internationale Mathematikolympiade, kurz IMO, ist ein globaler Mathematikwettbewerb für Schüler unter 20 Jahren, die noch nicht studieren. An der IMO 2015 nahmen weltweit insgesamt 582 Teilnehmer aus 114 verschiedenen Ländern teil. Auch die Schweiz schickt jährlich ein Team von sechs Mitgliedern an die IMO. Diese sechs Leute werden durch vier Selektionsprüfungen von total 18 Stunden Dauer ermittelt. Dieses Jahr waren Horace Chaix, Fabian Jin, David Rusch, Daniel Rutschmann, Stefanie Zbinden und Henning Zhang die sechs, welche die Schweiz an der IMO vertreten durften. Der Leader des Teams war Clemens Pohle und unser Deputy Leader war Dimitri Wyss. Das Liechtensteiner Team geht jeweils zusammen mit der Schweiz an die IMO. Dieses Jahr bestand das Team aus Robert Meier, Leader Alain Rossier und Deputy Leader Jana Cslovjecsek.

Nach zwei Vorbereitungstreffen ging es dann endlich am Donnerstag, 2. Juli, nach Thailand. Mit einmal Umsteigen in Bangkok landeten wir schliesslich am Morgen des 3. Juli in Chiang Mai, wo die diesjährige IMO stattfinden wird. Chiang Mai ist eine kleinere Stadt im Norden Thailands, doch sie gilt nach Bankok als die zweitkulturellste Stadt. Während die Leaders Clemens und Alain die erste Woche an die Jury Meetings gehen mussten, machte das Team mit den Deputy Leaders in jener Woche Training und gewöhnte sich an die Zeitzonenverschiebung und das Klima, damit wir unser bestes an der IMO geben konnten.

Nachdem wir unsere Sachen in der Jugendherberge untergebracht hatten, machten wir uns ein klein wenig mit der Stadt vertraut. Die Stadt war voller buddhistischer Tempel und Schreine! Wir liefen durch die Strassen, besuchten einige Tempel in der Stadt und ruhten uns in einem Park aus. Am Anfang waren die ständige Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit recht unangenehm, doch mit der Zeit gewöhnte man sich daran. Woran man sich jedoch nicht gewöhnen konnte, war das scharfe Essen: Gleich am ersten Tag bestellten wir unerfahrene Touristen zwei „hot & spicy“-Suppen, die schliesslich so scharf waren, dass niemand sie austrinken konnte. Wenn man in Thailand „normale“ Speisen bestellte, dann waren sie scharf nach unserem Empfinden; bestellte man jedoch „hot & spicy“-Speisen, so wird man sie kaum essen können! Auch sprachlich war es zum Teil eine rechte Herausforderung, sich zu verständigen. So versuchten wir am ersten Tag vergebens, einer Kellnerin auf Englisch zu erklären, dass wir eine Schüssel Reis bestellen wollten. Schliesslich gelang es uns erst, als wir eine andere Kellnerin fanden, die das chinesische Wort für Reis kannte.

Die Jugendherberge, in der wir wohnten, war zwar schlicht, doch recht angenehm. Wir teilten uns auf ein Vierer- und ein Sechserzimmer auf, die jeweils recht klein waren. Zum Morgenessen gab es Toast mit Butter und Orangenmarmelade und Bananen. In den folgenden vier Tagen trainierten wir jeden Tag ein Themengebiet, und zwar Geometrie, Kombinatorik, Algebra und Zahlentheorie. Theorieunterricht gab es keine mehr, wir lösten jeweils nur Aufgaben, um fit für die Prüfungen zu werden. Gelegentlich unterhielten wir uns auch mit anderen Touristen, die in der Jugendherberge wohnten, oder wir gingen ins Lebensmittelgeschäft und kauften uns ein paar Snacks. Zum Mittag- und zum Abendessen gingen wir in verschiedene Restaurants in der Umgebung. Am Abend spielten wir diverse Kartenspiele, meistens aber das beliebteste Kartenspiel an der Matheolympiade, nämlich Tichu. Nur am Sonntagabend gingen wir ans Sunday Market, eine Kreuzung, das voller Strassenstände war, die verschiedene Dinge anboten. So kauften wir Souvenirs, Kleider, Essen und Trinken... Der Highlight des Abends war es wohl, als wir uns zusammen eine Tüte frittierter Heuschrecken kauften. Es war wahrscheinlich für uns alle das erste Mal, dass wir Insekten assen. Nach einigen Hemmungen am Anfang gewöhnten sich jedoch die meisten daran, und die Tüte war schnell geleert.

Nach diesen vier Tagen Training war der offizielle Ankunfstag für die IMO-Teilnehmer. Da wir jedoch erst am Abend empfangen wurden, machten wir tagsüber einen Ausflug. Am Morgen gingen wir ins Doi Suthep Tempel, auf deutsch „Doppel-Drachen-Tempel“. Es war der grösste Tempel in der Nähe und lag auf dem Berg. Vom Fuss des Tempels führte eine Treppe mit über 300 Tritten zum Tempeleingang. Von links und rechts wurde die Treppe von zwei Drachen bewacht, deren Kopf am unteren Treppenende die Neuankömmlinge begrüssten und deren Körper sich über die ganze Länge der Treppe hinaufzog bis zum oberen Treppenende. Der Tempel selber war genauso eindrücklich. Er bestand aus einem äusseren Ring mit kleineren Schreinen und dem erhöhten Zentrum. Der Zentrum hatte einen quadratischen Grundriss und war hochsymmetrisch angeordnet, sodass man leicht die Orientierung im Zentrum verlor. In der Mitte des Zentrums war ein grosser, quadratischer, goldener Turm errichtet, der von allen Seiten von verschiedenen Buddhas umgeben war.

Am Nachmittag gingen wir dann in den Nationalpark, der sich auf demselben Berg wie der Doi Suthep Tempel befand. Er war voller exotischer Pflanzen und Tiere und hatte auch einen Wasserfall. Als wir jedoch beim Wasserfall ankamen, mussten wir darüber schmunzeln, wie klein er in Wirklichkeit war, doch als was für eine grosse Attraktion er dargestellt wurde. Dies erzürnte wohl den Wettergott, der uns nun einen richtigen Wasserfall vom Himmel schickte. Es regnete plötzlich wie aus Eimern, und nach kurzer Zeit war der ganze Weg nur noch ein Fluss von schlammrotem Wasser. Zum Glück befanden wir uns gerade an einem regengeschützten Ort, doch der Regen schien nicht bald aufhören zu wollen. So rannten wir schnell zurück zum Eingang des Nationalparks und bestiegen völlig durchtränkt ein Taxi, das uns nun zum Lotus Hotel brachte, wo die IMO Teilnehmer untergebracht werden. Es war wohl das nobelste Hotel der Stadt. Wir waren begeistert vom Hotel, das scheinbar alles hatte: Swimmingpool, Fitnesscenter, Sauna, sogar ein Shopping Center, das mit dem Hotelgebäude verbunden ist. Alle Mahlzeiten waren inbegriffen, und es gab jeweils ein feines Buffet von thailändischen Gerichten zur Auswahl. Das einzige, was uns störte, war das sehr schlechte WLAN-Signal und die extrem langsamen und häufig überfüllten Lifte. Die Teilnehmer wurden in grossen Zweierzimmern mit guter Ausstattung untergebracht. An jenem Abend lernten wir auch unseren Guide für die IMO kennen. Er hiess Suthimanat Chin, wir durften ihn einfachheitshalber Kui nennen, studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und war ein sehr hilfsbereiter und motivierter Typ.

Am folgenden Tag, 9. Juli, fand die Eröffnungsfeier der IMO statt. Der Beginn war zwar um 10.00 Uhr geplant, doch da wir den hohen Besuch der Prinzessin Maha Chakri Sirindhord erwarteten, galt es absolut sicher zu sein, dass man dann auch wirklich bereit sein wird. Deshalb wurde die Abfahrt vom Hotel zur nahegelegenen University Convention Hall bereits um 7.00 Uhr geplant, und dementsprechend mussten wir schon früh um 6.15 Uhr aufstehen. Das Hotel bot den Service an, uns am Morgen zu gewünschter Zeit durch einen Anruf aufzuwecken, und so hatten wir am Abend vorher dem Empfang aufgetragen, uns am nächsten Morgen um 6.00 anzurufen. Zu allem Überdruss rief uns der Empfang am nächsten Morgen sogar bereits um 5.30 Uhr an! Als ob wir nicht schon genug früh aufstehen mussten! Schliesslich kamen wir zwei volle Stunden vor dem Beginn der Eröffnungsfeier an, und die meisten versuchten während diesen zwei Stunden den Schlaf nachzuholen.

Die Eröffnungsfeier selber war recht kurz und knapp. Nach einigen kurzen Reden präsentierten sich alle Teams auf der Bühne und die IMO-Flagge wurde aufgezogen. Nach der Eröffnungsfeier lernten sich die Teams kennen, machten zusammen Teamfotos und tauschten Geschenke aus. Am Nachmittag war kein Programm vorgesehen, wir lösten noch einige letzte Aufgaben und wir ruhten uns aus für die folgenden zwei Prüfungstage.

Die beiden Prüfungen bestanden je aus drei Aufgaben, geordnet nach Schwierigkeitsgrad, und dauerten viereinhalb Stunden. Die diesjährigen Prüfungen waren sehr schwierig. Der erste Prüfungstag lief nicht schlecht für die Schweiz. Fast alle konnten die erste Aufgabe lösen und einige haben auch in der zweiten Aufgabe Interessantes herausgefunden. Der zweite Tag lief weniger gut, die Hälfte des Teams konnte keine einzige Aufgabe lösen, und auch die andere Hälfte löste nur die vierte Aufgabe.

An den folgenden beiden Tagen gingen wir auf Exkursionen. Die 114 Teams wurden in vier Gruppen eingeteilt, die die Exkursionen in unterschiedlicher Reihenfolge machten. Unsere Gruppe besuchte als erstes ein Naturschutzgebiet, das vom heutigen König wiederaufgeforstet wurde. Eine besondere Attraktion dieser Exkursion war es, dass wir einen Kuhstall besuchten und die Kühe sogar streicheln durften! Die Schweizer waren begeistert... Nach einem Mittagesssen in einer Orchideenfarm ging es dann ins Maesa Elefantencamp. Nachdem wir kurz einige Elefanten gefüttert und ihnen beim Baden zugeschaut hatten, wurde eine Elefantenshow aufgeführt. Es war erstaunlich, was man Elefanten alles beibringen konnte! Zu Beginn wurden einige einfache akrobatischen Darbietungen vorgeführt, dann kamen die sportlichen Talente der Elefanten zum Zuge. Torschiessen aufs leere Tor, aufs Tor mit einem anderen Elefanten als Torwart, Korbwurf, Dartpfeile auf Ballone schiessen... Schliesslich wurde auch noch das künstlerische Können der Elefanten gezeigt, indem sie mit Pinsel und Farbe vor den Zuschauern Bilder malten von Bäumen, Blumen und Landschaften. Am Schluss durften wir auch noch selber mit den Elefanten Fotos machen.

Am zweiten Tag besuchten wir am Morgen eine Schirmfabrik. Es wurde erklärt, wie man das Schirmgestell aus Bambus und Holz baute und wie man ein spezielles Papier herstellte, das dann als Schirmüberzug diente. Diese Fabrik stellte auch Fächer her, und alle Teilnehmer bekamen einen Fächer geschenkt, den wir uns mit schönen Bildern bemalen lassen konnten. Am Mittag ging es zu einer Quelle, wo das entsprungene Wasser siedend heiss war. Nachdem wir unseren Füsse kurz an einer entfernteren Stelle, wo das Wasser nicht mehr ganz so heiss war, gebadet hatten, kauften uns einen Korb voll Wachteleier, legten es ins heisse Quellwasser und nach kurzer Zeit konnten wir die gesottenen Eier geniessen. Am Nachmittag war wieder eine Exkursion in den Doi Suthep Tempel geplant, diesmal von der IMO-Organisation, doch da wir bereits dort gewesen waren, suchten wir uns einen Platz zum Kartenspielen.

Nach diesen zwei Tagen Exkursionen folgte am nächsten Morgen die IMO Vorlesung. Zwei Professoren hielten je eine Vorlesung über das indisches Mathematikgenie Ramanujan, der im frühen 20. Jahrhundert lebte, sich selber Mathematik beigebracht und über 600 mathematische Sätze aufgestellt hatte, wovon einige bis heute noch unbewiesen sind. Die zweite Vorlesung handelte von einem ursprünglich einfachen alltäglichen Thema über Kreise um Objekte, das sich bald zu komplizierten mathematischen Problemen verwandelte. Insgesamt waren die Vorlesungen recht interessant und verständlich. Am Nachmittag war wieder freies Programm. Einige gingen Tischtennis spielen, andere badeten oder ruhten sich einfach im Zimmer aus.

Kaum hatte die IMO begonnen, da war sie auch schon wieder zu Ende. Am nächsten Tag war bereits die Abschlussfeier der IMO. Diese wurde gleich im Hotel durchgeführt und war viel feierlicher als die Eröffnungszeremonie. Nach einigen Reden folgte eine schöne Tanzeinlage mit je fünf Männern und Frauen, gekleidet in den olympischen Farben rot, blau, grün, gelb, schwarz. Danach folgte die Medaillienvergabe. Die Medaillen werden so vergeben, dass die erste Hälfte der Teilnehmer eine Medaille bekommt und das Verhältnis Gold:Silber:Bronze in etwa 1:2:3 entspricht. Zudem erhalten diejenigen Teilnehmer ohne Medaille, die jedoch eine Aufgabe vollständig gelöst haben, eine Honourable Mention. Stefanie und David erhielten je eine Honourable Mention und Daniel, Horace und Henning erhielten je eine Bronzemedaille, die sie stolz in Empfang nahmen. Das beste Team an der diesjährigen IMO war die USA, die es nach 21 Jahren erstmals wieder schafften, im Teamtotal am meisten Punkte zu erreichen mit fünf Goldmedaillen und einer Silbermedaille. Für eine weitere Sensation sorgte der Kanadier Song Zhuoqun, der dieses Jahr als einziger die maximale Punktzahl erreicht hatte, seine fünfte Goldmedaille gewann und damit einen neuen Rekord für die meisten Goldmedaillen aufstellte. Das anschliessende Abschiedsessen war sehr originell. Es wurden verschiedene Stände mit Essen und Souvenirs aufgestellt in der Art eines Markts. Man konnte gemütlich durch den Markt schlendern, hie und da anhalten und das essen, das einen gerade anspricht. Währenddessen liefen auf der Bühne diverse Shows, Tanzeinlagen, Fragen an die Teilnehmer... Wir tauschten noch letzte Geschenke aus mit anderen Teilnehmern und gaben uns unsere Kontaktaddressen. Schliesslich mussten wir uns auch von Kui, unserem Guide, verabschieden. Wir schenkten ihm unsere Schweizer Flagge mit unseren Unterschriften darauf als Erinnerung, und er hatte uns allen jeweils eine Karte geschrieben und ein kleines Geschenk vorbereitet.

Am Tag der Abreise machte das Schweizer und Liechtensteiner Team noch den letzten Ausflug. Es standen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, und auf besondere Empfehlung des deutschen Leaders entschieden wir uns schliesslich, in ein Museum zu gehen, das die Wände so mit Bildern bemalt hatte, dass man aus dem richtigen Blickwinkel jeweils ein dreidimensionales Bild sieht, auf dem man posieren konnte. Dies gab noch einige kreative und lustige Fotos. Nach dem Museumsbesuch fuhren wir zurück ins Hotel und spielten noch Karten, bis wir zum Flughafen fuhren und wieder zurückflogen.